Polytrauma!

Moin,

Ich möchte euch hier gerne von meinem heutigen Tag erzählen. Die Überschrift verrät es schon. Wir hatten einen Notfall. Das ist zwar nichts besonderes in einem Zentral-OP, war für mich allerdings der erste, den ich als Auszubildender miterlebt habe. Und das war dann eben für mich doch besonders.

Kleine Vorwarnung für alle, die noch ganz neu sind. Ich werde zunehmend mit Fachbegriffen in diesem Block um mich schmeißen und nur die besonders extravaganten auch erklären. Alles was so zu meinem Alltag gehört, werde ich nicht jedes mal breittreten. Sollte der ein oder andere zum Beispiel über den sehr gängigen Begriff eines Polytraumas stolpern, einfach mal kurz die Suchmaschiene anschmeißen oder euer Pschyrembel aufschlagen. Ihr würdet dann in diesem Fall z.B. lesen:

Polytrauma n: Verletzung mehrerer Körperregionen oder Organsysteme, wobei wenigstens eine Verletzung oder die Kombination mehrerer Verletzungen lebensbedrohlich ist und die Verletzungsschwere nach Injury Severity Score (ISS) mit ≥ 16 Punkten bewertet wird. Lebensbedrohliche Verletzungen werden schnellstmöglich versorgt. Etwa die Hälfte der Betroffenen verstirbt noch am Unfallort. […]“1

Bevor ich zur eigentlichen Story komme, möchte ich euch noch kurz vermitteln, wie mein Stand ist. Schaut auch gerne die Vlog’s auf YouTube, in denen ich genau dazu wöchentlich Updates bringe. Ich befinde mich gerade in meinem ersten Praxiseinsatz, den ich in der HNO absolviere. Dieses Fachgebiet hat bei uns im ZOP einen Stammsaal. Mein Arbeitgeber fährt allerdings auch ein ambulantes Operationszentrum, in dem wir ebenfalls an manchen Tagen agieren. Außerdem kann es mal sein, dass man auf Grund organisatorischer Umstände in ganz andere Säle geschmissen wird und / oder andere Fachrichtungen mitabdeckt, wenn das HNO-Programm vorbei ist. Mit der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde gehen häufig sehr kurze Eingriffe einher, sodass Vor- und Nachbereitung schnell gehen müssen. Wenn man sich damit mal genauer beschäftigt, stellt man schnell fest, dass Ohren, Nase und Hals doch recht komplex sind. Die Areale mögen ja prozentual nicht viel von der Körperoberfläche ausmachen, bieten aber viel Abwechslung. Ob man nun die Gehörknöchelchen, die Nasennebenhöhlen oder die Luftröhre operiert macht eben doch einen großen Unterschied. Nach knapp drei Wochen entwickle ich langsam das Gefühl etwas angekommen zu sein und nicht mehr ewig nach allem zu suchen. Außerdem kenne ich inzwischen ein paar Siebe und bereite hier und da mal selbstständig vor. Ich habe außerdem die Gesichter kennengelernt, die in diesem Bereich am häufigsten auftauchen. Da ich noch ein ganz frischer Schüler bin, sind wir stets zu dritt im Saal geplant. Eine sterile und eine unsterile Fachkraft plus mich als 2. Springer. Klar, haben wir uns schon mal selbst ausgelöst, wenn der Zwischendienst alleine war oder der 1. Springer wonaders gut helfen konnte. Unter der Voraussetzung, dass die Situation so einfach war, dass Instrumentierende/-r und ich alleine zurecht kamen. Im Prinzip ist da also stets ein Backup. Das ist auch gut so. Man lernt ja gerade Anfangs viel durch beobachten und zuhören. Inzwischen lerne ich auch schon viel durch selber machen, aber das muss die Zeit dann halt hergeben, da ich natürlich nicht so routiniert bin, wie z.B. meine Mentorin. Nach drei Wochen wäre wohl auch alles andere ein Wunder.

Der Tag läuft zunächst ganz gewöhnlich. Es sind genau die Punkte auf dem Plan, die auch schon da standen, als ich gestern kurz vor Feierabend die Endplanung gecheckt habe. Das ist immer eine gute Sache, weil ich dann die Chance habe, mich zu bestimmten Eingriffen kurz einzulesen, wenn ich zu Hause bin. Wir hatten mit einer Tympanoplastik gestartetn und machen gerade eine Neck Dissection mit Tumorexzison. Intraoperativ habe ich vorallem die Aufgabe abgeworfene Kompressen zu zählen und die Histologie anzulegen. Wir sind fast fertig. Meine Kollegin sucht gerade noch letzten Kleinkram für die danach geplante Mastoidektomie zusammen. Ich hänge schon die Spüllösung für die Knochenfrese auf, als das Saaltelefon klingelt.

Am Aparat unsere OP-Leitung, die mich darüber informiert, dass unser nächster Punkt ein Polytrauma mit schwerer Schädelfraktur sein wird. Ich sage meinem Kollegen am Tisch Bescheid. Nach OP-Ende wird er zurückrufen und die Details klären. Jedenfalls so weit es die schon gibt. Der Abbau geht noch etwas schneller als sonst.

Alles für eine Notfall-Craneotomie ist fast fertig aufgebaut, als der Patient unter laufender Reanimation in den Saal geschoben wird. Ich sitze gerade im Aufenthaltsraum. Natürlich wäre ich gerne da geblieben. Doch es hat seinen Grund, warum ich gerade jetzt meine Pause machen soll. Meine Kollegen haben die Situation richtig eingeschätzt und ich kann später noch jede Menge mithelfen. Nach der halben Stunde, in der ich etwas Salat und Brot reingeschaufelt habe, betrete ich erneut den Saal. Die Neurochirurgen sind am Schädel zu gange. Zusätzlich zu den Neuro-Instrumenten sind die Tische nun auch für Fixateure an den unteren Extremitäten vorbereitet, die im Anschluss folgen sollen. Die Anästhesie ist damit beschäftigt, den Patient zu stabilisieren. Ich reiche auch noch ein paar Sachen an, dann läuft’s erstmal. Wenige Minuten später fällt auf, dass im Blasenkatheter und rundum im Genitalbereich Blut zu sehen ist. Es wird ein Urologe dazugerufen. Wir brauchen schnell alles für eine Cystoskopie. Meine Kollegin wird im Saal gebraucht. Ich werde geschickt, um eine zu richten. Ich suche mir Hilfe im Nachbarsaal, wo in den Schränken die nötigen Utensilien vorgehalten werden. Gemeinsam mit einer OP-Pflegerin organisiere ich alles. Wir haben die benötigten Optiken nicht mehr vorrätig. Das passende Sieb fehlt auch. Die Ambulanz schickt uns Sonografiegerät, Optik und Sieb hoch. Aus dem ambulaten OP holen wir uns außerdem den benötigten Endoskopieturm. Es dauert alles etwas, aber dann bin ich wieder im Saal. Inzwischen ist die 1. Springerin 2. Instrumentierende geworden und assestiert dem Urologen. Mein anderer Kollege steht mit den Neurochirurgen am Tisch. Jetz muss ich springen. Zwischendurch prüfe ich, ob das Sieb inzwischen da ist. Nichts. Jetzt wollen sie einen suprapubischen Katheter legen. Ich laufe wieder los und zum Glück finde ich erneut jemanden, der mir schnell die Sachen zusammenstellt. Von Uro habe ich halt noch keine Ahnung. Als der Uro-Part beendet ist, beruhigt es sich etwas. Ich reiche für die Craneotomie noch ein weiteres Sieb an und dokumentiere gemeinsam mit der Springerin, die nun wieder vom Tisch befreit ist, Anzahl der Schrauben und vieles mehr. Der instrumentierende Kollege wird vom Rufdienst abgelöst und ich helfe noch mit bis die Neuro fertig ist. Dann ist auch der Spätdienst da.

So kanns also gehen. Weiß nicht, ob das jetzt makaber ist. Schließlich geht es um jemanden, der heute mit dem Rettungshubschrauber von der Autobahn gefischt werden musste. Doch irgednwie bleibt bei mir am Ende hängen, dass mir der Job Spaß macht. Das war heute eine sehr erfüllende Arbeit und der Druck, unter dem wir agierten, habe ich als Herausforderung erlebt. Wenn ich sehe wie ruhig meine Kollegen trotz Zeitdruck bleiben und wie souverän sie agieren, dann freue ich mich einfach, das auch zu lernen.

Beste Grüße

Der Operateur



1. S. 1443, Pschyrembel – Klinisches Wörterbuch (2017). 267. überarb. Auflage, De Gruyter Berlin / Boston.



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