Patientenidentifikation im OP

Aktualisiert am 17.06.2020 (Grund: „Titel-Änderung zur besseren Zuordnung)

Interne Betrachtung der Patientenidentifikation durch die
Operationstechnische Assistenz an meinem Ausbildungskrankenhaus

„Patientensicherheit ist (…) mehr als nur die
Abwesenheit von Patientenschädigungen.“

in Thiemes „Allgemein- und Viszeralchirurgie up2date“ 2016

Fehler im operativen Funktionsdienst in Deutschland

Die DRG-Statistik legt offen, dass alleine im Jahr 2016 etwas mehr als 16,7 Mio. Operationen abgerechnet wurden. Davon 787.897 Fälle in Berlin.

Eine noch aktuellere Statistik vom MDK aus dem letzten Jahr zeigt schließlich, wie ernst das Thema Fehler im operativen Funktionsdienst nach wie vor ist. Mit 39 % entfallen die meisten geprüften Vorwürfe auf den Behandlungsort OP. Hierbei ist der ambulante Operationsbereich
noch nicht einmal eingerechnet. In 1.496 von 6.548 eingereichten Fällen wurden Behandlungsfehler nachgewiesen. 10 % davon entfallen auf falsche Maßnahmen.

Die meisten Vorwürfe, die den MDK bzgl. des Behandlungsortes OP erreichten betreffen Hüftgelenk- und Kniegelenkimplantationen. Zusammengerechnet mussten 188 Fälle geprüft
werden.

In 12 Fällen wurde zwar der Patient richtig identifiziert, jedoch die falsche Operation durchgeführt. In sechs Fällen wurde der richtige Eingriff am falschen Körperteil vorgenommen. In einem Fall wurde zwar der richtige Eingriff durchgeführt, der Patient jedoch falsch identifiziert. Das sind 19 Fälle die durch Checkliste und Team-Time-Out vermeidbar gewesen
wären. Sie mögen in der Masse sehr gering erscheinen. Andererseits haben wir es hier mit einem Phänomen zu tun, das schlichtweg nicht vorkommen dürfte. Verwechselungen entstehen durch Fehler in den betrieblichen Abläufen, durch schlechte Kommunikation und andere Aspekte, gegen die man längst Maßnahmen entwickelt hat, die nur noch konsequent
umgesetzt werden müssten. Nicht umsonst spricht man in der internationalen Fachliteratur von sogenannten „Never Events“. Der National Health Service des UK und andere geben jährlich eine aktualisierte Liste dieser Ereignisse, die eigentlich nicht vorkommen dürften, heraus. Operationen an falschen Körperteilen und falsche Implantationen sind seit Jahren vorne mit dabei. Positiv fällt auf, dass die Verwechselung von Patienten international betrachtet etwas seltener geworden ist, auch wenn es nach wie vor eine zu große Rolle spielt. An der medizinischen Fakultät der Universitat de Barcelona gab es eine Analyse aller Operationen von 1986 – 2017, die auf der falschen Körperseite bzw. am falschen Körperteil durchgeführt wurden. Statt einer rückläufigen Tendenz wurde je nach Fachabteilung innerhalb der letzten zehn Jahre ein Anstieg um 0,92 bis 3,83 % registriert. Auch hier sind WHO-Checkliste und Team-Time-Out seit Jahren vorgeschrieben. Analysen vergleichbarer Datenmengen zu einzelnen Häusern wurden bisher nicht veröffentlicht. Man kann daher nur mutmaßen, ob eine Allgemeingültigkeit möglich wäre. Die Ergebnisse zeigen allerdings sehr schön, dass zur korrekten Patientenidentifikation auch die Feststellung gehört, dass der richtige Eingriff an der richtigen Lokalisation geplant ist.

Traumatologie und Orthopädie waren die am häufigsten betroffenen Fachabteilungen. Ein Umstand, der sich auch in anderen Datenauswertungen von Behandlungsfehlern bemerkbar macht. Dazu gehören auch Erhebungen vom MDK und der European Public Health Association. Schwerpunkthäuser in diesem Bereich, sollten daher besonders aufmerksam sein, wenn es um Fälle von WSS (wrong site surgery) geht.

Die Betrachtung zeigt, dass die Sicherstellung der Patienten- und Eingriffsidentität durch aktive Strategien erfolgen muss, um Verwechselungen jeglicher Art zu vermeiden. Aus diesen entstehen hohe wirtschaftliche Belastungen für die Krankenhäuser und nicht zu Letzt ungewollte Körperverletzungen von Patienten, mit häufig irreversiblen Schädigungen.

Instrumente zur Sicherstellung der richtigen Patientenidentität

Es gibt derzeit zwei anerkannte Hilfsmittel zur Prävention fehlender bzw. falscher Informationsflüsse, die global im Einsatz sind.

Die Checkliste, die sich an den Vorgaben der WHO orientiert und die Durchführung eines sogenannten Team-Time-Out. Die Liste soll bewirken, dass wichtige Faktoren mehrfach geprüft und vor allem weiter übergeben werden. Daher erfolgt noch vor der Narkoseeinleitung ein Sign-In und nach Eingriffsende ein Sign-Out. Solch eine Checklliste gibt auch vor, dass das OP-Feld, wenn möglich, markiert sein soll. Diese Vorgabe kann so weit gehen, dass die Narkoseeinleitung nicht stattfindet und der Patient zurück auf Station muss, wenn die Markierung fehlt. Natürlich werden diese Verfahren laufend untersucht und weiterentwickelt. So bringen z.B. kleinere Studien der jüngsten Zeit Anzeichen dafür hervor, dass ein elektronisch gestütztes Team-Time-Out eine viel höhere Compliance und Genauigkeit bietet.

Die Sicherstellung der Patientenidentifikation muss als wichtiger Bestandteil des perioperativen Risikomanagements gesehen werden. In „Risiken frühzeitig erkennen und beheben“ aus der Thieme-Zeitschrift „Im OP“ wurden 2014 sechs Aspekte genannt, die einen korrekten Ablauf stören können:

„die Komplexität und Schnittstellenbeteiligung in den verschiedenen prä- und perioperativen Behandlungs- und Versorgungsprozessen; das Arbeiten unter Zeitdruck; die immer knapper vorhandenen Personal- und Qualifkationsressourcen; die Notwendigkeit von Neustrukturierungen und Reorganisationsprozessen im Krankenhaus, auf den Stationen oder im OP; Sprachbarrieren; besondere Situationen.“

„Risiken frühzeitig erkennen und beheben, Thiemes „Im OP“ 2014

Das OP-Team ist in anwachsenden Anteilen mit all diesen Faktoren konfrontiert, sodass der konsequente Einsatz von Patientenarmbändchen zunehmende Verbreitung findet und als Lösung immer öfter diskutiert wird. Dies kann jedoch nur dann gelingen, wenn ganz klar geregelt ist, wann und von wem das Armbändchen angelegt wird. An dieser Schnittstelle muss die Validierung der Identität absolut sicher sein.

Letztendlich können alle Hilfsmittel nur als Teil sinnvoll strukturierter Prozesse wirken. Solche Prozesse können über SOPs (standard operation procedures) geregelt sein. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit gibt in ihren Handlungsempfehlungen ganz klar vor, dass die Patientenidentifizierungsmaßnahmen wiederkehrend erfolgen müssen. Insbesondere dann, wenn zwischen stationärem Behandlungsteam und OP-Team weitere Instanzen geschaltet sind. Zu nennen sind hier beispielsweise Transporthelfer und Lagerungspfleger, sowie Mitglieder der Anästhesie- und OP-Pflege, die nach dem Schleusen oder der Narkoseeinleitung im weiteren Verlauf nicht mehr unmittelbar an der Patientenversorgung mitwirken.

Vorgehen zur Patienten- und Eingriffsidentifikation im operativen Funktionsbereich an meinem Ausbildungskrankenhasu

Sobald der Patient die Patientenschleuse erreicht beginnt der Verantwortungsbereich der Anästhesie- und OP-Pflege. Ab Abruf von Station wird der Patient von einer Checkliste begleitet, die den verschiedenen Instanzen hilft, die SOPs zu befolgen.

Die OP-Pflege wird von einer Lagerungspflegekraft vertreten, die darauf spezialisiert ist, den Patienten zu übernehmen und mit in die Einleitung zu begleiten. Sie fragt den Patienten nach seinem Namen und welche Prozedur geplant ist. Ist ein Patient nicht mündig oder nicht ansprechbar, werden die selben Informationen vom stationären Pflegeteam übergeben, welches den Patienten in den OP begleitet. Natürlich ist es stets vorzuziehen die Informationen vom Patienten direkt zu erhalten. Auch die Anästhesiepflege hat hier erstmals Gelegenheit ihre Informationen abzugleichen.

Der Patient sollte seine Identität, die geplante OP und die richtige Körperseite bestätigen.

Spätestens in der Einleitung folgt das Sign-In. Der Anästhesie-Check wird vervollständigt und die OP-Pflege gibt bis dahin an, ob die benötigten Instrumente und sonstige Ausrüstung einsatzbereit sind. Wenn die betrieblichen Umstände es erlauben, sucht die unsterile Saalassistenz in dieser Phase die Einleitung auf und checkt im Sinne der empfohlenen Redundanz ebenfalls ihre Informationen.

Sobald Operateur und Anästhesist anwesend sind und der Patient richtig gelagert ist, erfolgt das Team-Time-Out welches sich an der Checkliste orientiert. Das Team-Time-Out wird vom Operateur moderiert, ist jedoch kein Zwiegespräch zwischen ihm und dem Anästhesisten. Das gesamte Behandlungsteam sollte aufmerksam sein und kurzzeitig alle Nebentätigkeiten unterbrechen. Patient, Operation, Körperseite, Lokalisation, Labor & EK’s sowie korrekte Lagerung werden festgestellt. Besonderheiten, wie zu erwartende kritische OP-Schritte oder eine schlechte Allgemeinverfassung aus Sicht der Anästhesie sind anzumerken. Die sterile Assistenz gibt an, ob alle Instrumente vollzählig und einsatzbereit sind. Erst dann erfolgt der Schnitt.

Im Sign-Out wird geklärt, ob sich nichts mehr im Patienten befindet und ob die weitere Behandlung sichergestellt ist. Auch bei Übergabe in den Aufwachraum muss sichergestellt werden, dass die Patientenidentität nicht verwechselt wird.

Anwendung auf das Fallbeispiel der Aufgabenstellung

Als unsterile Saalassistenz betrete ich die Einleitung, in der Herr Meyer bereits liegt. Zunächst begrüße ich ihn und stelle mich kurz vor. Dann frage ich ihn nach seinem Namen. Hierbei achte ich darauf nicht zu sagen „Sind Sie Herr Meyer?“ Stattdessen frage ich ihn z.B. „Verraten Sie mir bitte, wie sie heißen?“ Hiermit vermeide ich, einen Vorschlag zu machen, dem eine eventuell verwirrte Person nur noch zustimmen müsste. Der Patient sollte sich selbst an seinen Namen erinnern.

Gleiches gilt, wenn ich ihn als nächstes nach seinem Eingriff frage. Ich frage Herr Meyer also nicht, ob er eine Harnleiterschieneneinlage links bekommt, sondern was gemacht wird und auf welcher Seite.

Außerdem frage ich ab, ob der Patient irgendwelche Allergien hat. Bei diesem Eingriff ist insbesondere der Einsatz von Kontrastmittel zu bedenken. Da standardmäßig kein monopolarer Strom zum Einsatz kommt, ist es weniger relevant, ob er einen Herzschrittmacher oder ähnliches trägt. Dies ist grundsätzlich auch zu erfragen.

Ich prüfe abschließend die Akte auf Vorliegen der Einwilligung und auf Übereinstimmung der Namensschildchen mit den Angaben, die Herr Meyer macht. Ich kann die Anästhesiepflege nun noch informieren, dass von unserer Seite aus alle Voraussetzungen erfüllt sind und sie fragen, ob von ihrer Seite aus noch Einwende vorliegen. Dann habe ich sichergestellt, dass die OP erfolgen kann.

Ich gehe zurück in den Saal und verfolge meine anderen Aufgaben.

Quellen

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Klicke, um auf Never_Events_list_2018_FINAL_v5.pdf zuzugreifen

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